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Michaels Krankeitsverlauf

Am 16.09.2005 bekam Michael die vernichtende Diagnose Hirntumor, Verdacht auf Glioblastom. Mit dieser Diagnose begann die Katastrophe für unsere Familie. Es war wie eine Flutwelle, die über uns zusammenschlug.

Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung war unsere Tochter Christina 9 Monate jung, unser Sohn Martin 6 Jahre alt und Timo feierte seinen 9. Geburtstag am 12. Oktober, 1 Tag bevor Michael operiert wurde.

Ab Juni 2005 veränderte sich Michaels Migräne, unter der er seit seiner Kindheit litt. Er war deswegen nie in ärztlicher Behandlung. Im Verlauf des letzten Jahres hatte Michael einige sehr heftige Kopfschmerzattacken. Diese traten immer dann auf, wenn er zu seinen Außendienstterminen unterwegs war und er deshalb auswärts übernachtete. Er rief mich mehrmals an und berichtete von rasenden Kopfschmerzen und dass er sich im Hotel sofort hinlegen würde.

In der letzten Juniwoche war Michael wegen einer Erkältung für 1 Woche krank geschrieben – das erste Mal überhaupt während seiner beruflichen Laufbahn. Anschließend fühlte er sich wieder hergestellt und arbeitete bis zu unserem Sommerurlaub.

An unserem 1. Ferientag in unserem Ferienhaus auf Texel stieß sich Michael sehr heftig den Kopf an einem Balken der Dachschräge. Er hatte am nächsten Morgen noch Kopfschmerzen, fand aber einen Arztbesuch unnötig und ich besorgte im örtlichen Supermarkt Aspirin.Gegen Mittag fühlte er sich besser und er radelte mit Timo und Martin zum Strand.

Wir führten die nach unserer Rückkehr vom Urlaub auftretenden Symptome auf dieses Ereignis als Spätsymptome einer Gehirnerschütterung zurück.

Der 05. September war Michaels erster Arbeitstag nach dem Urlaub. Er klagte über Konzentrationsprobleme. Die Arbeit am PC war kaum möglich. Er nahm in dieser Woche sogar zwei Auswärtstermine wahr, einer davon mit Übernachtung. Wieder traten starke Kopfschmerzen auf und Michael musste auf der Rückfahrt eine längere Ruhepause einlegen.

Wenn ich jetzt diese Zeilen schreibe, ist es für mich nicht erklärbar, warum wir damals immer noch abwarteten. Ich denke im nachhinein, dass wir beide nicht wahrhaben wollten, dass Michaels Leben bedroht war.

Am darauffolgenden Wochenende bekamen wir Besuch und Michael verbrachte das Wochenende überwiegend im Liegen, da er sich so schwach fühlte. Am Montag, den 12.09.2005, suchte Michael zuerst seine Hausarztpraxis auf. Von dort wurde er zum Neurologen weiter überwiesen, der mit ihm für den Mittwoch einen Termin zum CT vereinbarte.

Am Dienstag hatte Martin so ganz nebenbei seinen ersten Schultag, an dem Michael und ich ihn als seine Eltern gemeinsam begleiten durften. Wir wussten damals nicht, dass unsere gemeinsame Elternzeit fast am Ende war.

Am Freitag, den 16.09.2005 besprach Michael die CT – Bilder mit dem Neurologen. Er kam am Boden zerstört zurück. Auf dem Einweisungsschein für die Klinik stand bereits:

Verdacht auf Glioblastom!

Am 21.09.2005 wurde Michael in der Neurochirurgie des Zentralklinikums Augsburg stationär zur Biopsie aufgenommen. Michael wurde nach diesem Eingriff am 26.09. wieder nach Hause entlassen. Die nächsten Tage bedeuteten zermürbendes Warten auf den alles entscheidenden Befund. Wir versuchten, uns auf den Befund eines bösartigen Tumors einzustellen. Gleichzeitig mussten wir mit den Anrufen der besorgten Familienangehörigen und Freunde umgehen, die verständlicherweise wissen wollten was denn nun los sei. In dieser Zeit der Ungewissheit war das alles andere als einfach.

Michael nahm ab dem Besuch beim Neurologen 12 mg Cortison täglich, da Michaels Bilder ein ausgeprägtes Hirnödem zeigten. Durch die Cortisoneinnahme ging es Michael subjektiv erst einmal besser. Er konnte sich z.B. wieder besser konzentrieren.

Das Cortison sollte uns während der gesamten Zeit seiner Erkrankung begleiten. Alle Versuche, das Medikament Dexamethason wieder abzusetzen, schlugen fehl.

Anfang Oktober bekamen wir dann vom Augsburger Klinikum einen Anruf, dass der Befund da sei und wir uns zum Aufklärungsgespräch einfinden sollten. Innerlich hatten wir versucht, uns auf einen ungünstigen Befund einzustellen. Doch das, was uns in dem Gespräch erwartete, war durch nichts zu übertreffen. Michael erhielt die Diagnose, dass es sich um ein Glioblastom mit Infiltration des hinteren Balkens linksseitig handelte.

Nachdem uns noch die Prognose hinsichtlich der statistischen Überlebenszeit eröffnet wurde, schrie Michael , ob er den überhaupt eine Chance hätte. Der Arzt entgegnete daraufhin: „Eine Chance besteht immer.“ Unsere kleine Tochter begann zu schreien. Ich versuchte sie dann auf dem Gang zu füttern. Wir sollten eine Ärztebesprechung abwarten, in der über die Möglichkeit einer Operation für Michael entschieden werden sollte und eine halbe Stunde später wiederkommen. Nach dieser halben Stunde wurde uns eröffnet, dass Michaels MRT-Bilder nicht aufzufinden waren. Es konnte also bezüglich einer OP nicht beraten werden und so fuhren wir nach Hause. Wäre nicht Christina mit im Auto gewesen und hätten nicht auch noch unsere beiden Söhne auf uns gewartet, wäre dies unsere letzte Fahrt gewesen.

Am nächsten Vormittag erhielten wir telefonisch die Mitteilung von der Möglichkeit einer OP. Der Termin wurde für den 13.Oktober festgesetzt. Die stationäre Aufnahme sollte am 12.Oktober erfolgen.

Die folgenden Tage waren eine unbeschreibliche Mischung aus völliger Verzweiflung und dem Versuch, sich auf die Situation irgendwie einzustellen. Angehörige und Freunde mussten informiert werden. Wir sagten häufig, uns würde ein steiniger Weg bevorstehen. Angesichts dessen, was uns bevorstand, war das sehr milde ausgedrückt.

Michael zeigte und erklärte mir in den Tagen vor seiner Operation noch Dinge, die notwendig waren, damit ich in Zukunft alleine zurechtkommen würde.

Mittwoch, der 12. Oktober war Timos neunter Geburtstag. Nach einem gemeinsamen Frühstück und dem Auspacken der Geschenke fuhren Michael und ich in das Zentralklinikum Augsburg. Nachmittags „feierten“ wir nach dem Gespräch mit dem Narkosearzt den Geburtstag unseres Sohnes auf dem Spielplatz der Kinderklinik.

Am Donnerstag war Michael den größten Teil des Tages im OP-Saal. Er wurde anschließend auf die Intensivstation verlegt. Abends konnte ich kurz mit ihm telefonieren und ich war froh, dass Michael ansprechbar war und ich einige Worte mit ihm wechseln konnte.

Michael hatte die Operation soweit gut überstanden und wurde am nächsten Tag auf die Neurochirurgie zurückverlegt. Er war sehr schwach, noch sehr durcheinander. Es bestanden Wortfindungsstörungen, ansonsten keine weiteren Ausfälle, was die Sprache betraf.

16. Oktober 2005: Michael hatte sehr starke Kopfschmerzen. Da er selbst gar nicht in der Lage war, dem Pflegepersonal Bescheid zu geben, sorgte ich dafür, dass er Infusionen mit Schmerzmitteln bekam. Die 2. Infusion wirkte endlich und er schlief ein.

Bei einem Telefonat mit dem Operateur wurde ich über die vollständige Entfernung des Tumors informiert. Ich war erstaunt. Vor der Operation hatte man uns diesbezüglich erklärt, eine vollständige Tumorresektion sei auf Grund der Lokalisation im Balken mit Wachstum über die Mittellinie unmöglich. Auf mein nochmaliges, ungläubiges Nachfragen hin, wurde die Antwort wiederholt, dass der Tumor vollständig entfernt worden sei. Der Operateur gab mir zu bedenken , dass in jedem Fall Tumorzellen in das benachbarte Gewebe gewandert seien.

In Berichten an andere behandelnde Ärzte und in einem Kurzbericht von der Operation war dann zu lesen: „Z.n. Entfernung des Tumors mit kernspintomographisch nur minimalem Resttumor“.

Den eigentlichen OP-Bericht habe ich nie erhalten. Im März fragte ich das letzte Mal danach. Der Bericht war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschrieben.

20.Oktober: Tag der Entlassung

Michael war immer noch sehr schwach. Er konnte nur einige Meter gehen und war dann sehr erschöpft. Wir bekamen von den behandelnden Ärzten die Empfehlung, innerhalb einer Woche das Cortison schrittweise zu reduzieren und dann ganz abzusetzen.

Wieder zu Hause bezog Michael seinen Platz auf der Couch im Wohnzimmer. Dort war er während der Zeit seiner Erkrankung fast immer anzutreffen.

Michael hatte große Schwierigkeiten, sich zeitlich und auch räumlich zu orientieren. Ihm machte auch ein völlig verändertes Körpergefühl sehr zu schaffen. Er hatte zwar keine Lähmungen, er spürte seine rechte Seite aber wesentlich schlechter und nahm sie als fremd wahr.

Er spürte sich , als wären seine Körperhälften getrennt .So musste er sich nun bei den alltäglichen Verrichtungen wie dem Anziehen, Essen u.s.w. sehr konzentrieren. Nichts war mehr selbstverständlich. Zudem litt er unter einem teilweisen Ausfall des rechten Gesichtsfeldes, einer sog. Hemianopsie. So übersah er immer wieder Dinge, die sich in seinem rechten Gesichtsfeld befanden und stieß dagegen.

Im Laufe der kommenden Tage stellte sich heraus, dass Michael unter einer Agraphie litt. Er konnte Wörter buchstabieren, aber nur unter größten Schwierigkeiten handschriftlich zu Papier bringen. Michael durfte sich nur wenige Tage ohne Termin zu Hause erholen.

26.Oktober: Termin zur Computertomographie, um die Bestrahlung zu planen

Anschließend hatten wir ein Gespräch in der strahlenmedizinischen Sprechstunde. Wir wurden aufgefordert über unseren Informationsstand hinsichtlich der Prognose der Krankheit und der Tumorresektion zu berichten.

Als ich über die laut Operateur vollständige Tumorentfernung berichtete, bekamen wir zur Antwort: „Wäre der Tumor vollständig entfernt worden, wären Sie, Herr Wenzel, gar nicht in der Lage, so vor mir zu sitzen.“ Ich erwähnte noch, dass der Operateur mir gegenüber von einer Streuung von Tumorzellen in Nachbarregionen gesprochen hatte. Daraufhin wurden wir belehrt, dass der Begriff „Streuung“ im Zusammenhang mit dieser speziellen Tumorart medizinisch völlig inkorrekt sei. Ich wandte dann ein, dass vielleicht ein direkter Austausch zwischen den behandelnden Ärzten der Strahlenabteilung und den operierenden Ärzten der Neurochirurgie angebracht wäre.

Nach diesem Gespräch gab es für mich viele ungeklärte Fragen: Michael war schwerstkrank, an einem der aggressivsten Tumore erkrankt. Warum wurde so mit uns umgegangen? Irrtümlich hatte ich angenommen, dass sich die bei der Behandlung eines schwerstkranken Tumorpatienten beteiligten Ärzte untereinander austauschen würden. Der Strahlenabteilung lagen Michaels Unterlage nicht einmal vor. Ich musste diese erst vom 11. Stock , wo sich die Neurochirurgie befindet, abholen.

So quetschte ich mich mit unserer Tochter Christina samt Kinderwagen in immer überfüllte Krankenhausaufzüge, hetzte von A nach B um Unterlagen zu überbringen, um uns irgendwo anzumelden, um nach einem nie geschriebenen OP- Bericht zu fragen.

Inzwischen nahm Michael kein Cortison mehr. An einem der kommenden Tage ging es Michael zusehends schlechter. Er schaffte es gerade noch mit meiner Hilfe, die Treppe hoch und zu Bett zu gehen. Daraufhin begann er wieder mit der Einnahme von Fortecortin. Die Hausärztin meinte auf meine Nachfrage, dass ein Absetzen des Cortison in dieser Form nicht möglich sei.

31. Oktober 2005: Termin beim Onkologen, um die Chemotherapie mit Temodal zu besprechen.

03. November 2005: 1.Bestrahlung, gleichzeitig Beginn der Chemotherapie.

Michael nahm das Temodal während der Zeit der Bestrahlung jeweils 5 Tage während der Woche ein und hatte am Wochenende Pause. Für die Bestrahlung bekam Michael eine Maske. Da Michael in den folgenden Wochen durch die Cortison-Medikation erheblich an Gewicht zunahm, wurde die Maske immer enger und passte gegen Ende der Bestrahlungszeit fast gar nicht mehr. Michael schaffte es, diese Situation mit Humor zu nehmen. Diese erste Novemberwoche war zugleich die Woche der Herbstferien. Da Michael fast täglich Termine hatte, brachte ich unsere beiden Söhne zu meinen Eltern.

Seit der Operation hatte sich Michaels Ausdauer beim Gehen sehr verbessert, so dass er den Weg vom Parkplatz zum Eingang des Klinikums gut schaffte. Wir begannen nun Anfang November mit kleinen Spaziergängen. Diese verschafften uns etwas Ablenkung. Natürlich sprachen wir auch dabei über die Krankheit und unsere Sorgen.

Eine andere psychosoziale Betreuung hatten wir nicht.

Die Krankheit beherrschte alle Gedanken, es gab daraus kein Entkommen .Manchmal dachten wir beide unabhängig voneinander, dass es jetzt genug wäre und wir aus diesem Albtraum erwachen wollten.

Michael unternahm auch Spaziergänge alleine. Er entwickelte darin bald Ehrgeiz was die Entfernung betraf. Michael war immer viel und sehr regelmäßig gejoggt (in den letzten beiden Jahren 4-5 mal pro Woche). So war die starke Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit kaum fassbar.

Einmal musste ich ihn von einem seiner Spaziergänge abholen, da er sich mit der Entfernung völlig verschätzt hatte.

Im Laufe der Erkrankung gewöhnte Michael sich an, hier im Dorf zur Kapelle zu gehen und dort zu beten. Wir beteten beide. Wir hofften so sehr auf die Möglichkeit, etwas Zeit zu gewinnen. In Wahrheit lief uns die Zeit davon, zerrann uns zwischen den Fingern.

Michael war bereit zu kämpfen. Er hoffte so sehr darauf, dass ihm die Bestrahlungen und die Chemotherapie helfen würden. Selbstverständlich versuchten wir auch durch geeignete Ernährung seinen Kampf gegen den Tumor zu unterstützen. So lasen wir beide Ratgeber wie „mit Messer und Gabel gegen den Krebs“ und ich versuchte unsere Ernährung entsprechend zu gestalten. Nach einer Empfehlung von einem der Ärzte der Strahlenabteilung begann ich Quark-Leinöl-Mischungen zuzubereiten. Diese entsprechen dem Ernährungskonzept von Dr. Johanna Budwig. Meine Hoffnung war, dass Michael dadurch besser mit den Folgen der Bestrahlung und der Chemotherapie fertig werden könnte. Ich hatte dadurch wenigstens das Gefühl, etwas in dieser Hilflosigkeit und Ohnmacht tun zu können.

16.12.2005: letzte Bestrahlung

Die Bestrahlungen hatten Michael zunehmend müde gemacht. Auch waren ab der Hälfte der Bestrahlungszeit die Haare in dem bestrahlten Gebiet ausgefallen. Michael unternahm einen Versuch, sich den Kopf kahl zu rasieren. Da sich das Vorhaben als nicht durchführbar erwies, war die Frisur sehr asymmetrisch. Michael litt unter seinem veränderten Aussehen. Er hoffte darauf, dass seine Haare wieder nachwachsen würden. Auch hoffte er, dass er irgendwann das Cortison absetzen könnte, um wieder abzunehmen.

Die Fahrten zu den Bestrahlungen hatte ab der 2.Woche ein Taxiunternehmen übernommen. Die Kosten wurden von der Krankenkasse übernommen.

Michael beschloss, eine Anschlussheilbehandlung zu beantragen, die er nach Beendigung der Radiotherapie machen wollte. Der Antrag wurde genehmigt und die Rehabilitationsmaßnahme sollte am 17.01.2006 beginnen. Sowohl der behandelnde Onkologe als auch der Neurologe hatten sich für eine Rehabilitationsmaßnahme nach den ersten sechs Zyklen Chemotherapie ausgesprochen.

Diese Zeit stand Michael nicht mehr zur Verfügung.

Ab dem 17.12.2005 hatte Michael Chemotherapiepause. Der eigentliche erste Zyklus sollte am 11.01.2006 beginnen. So blieben uns einige terminfreie Tage. Ich versuchte, die üblichen Vorbereitungen für Weihnachten zu treffen. Von Normalität war unsere Familie gefühlte Lichtjahre entfernt.

Am 21.12. war noch ein Kontrolltermin beim Onkologen. Ein weiterer Arztbesuch war dann noch bei der Hausärztin, da Michael sich eine Entzündung am Nagelbett des Zeigefingers zugezogen hatte. Im Laufe des Winters mussten wir auch immer wieder die Lunge abhören lassen, da Michael mehrmals Husten hatte und wegen des durch die Cortisoneinnahme geschwächten Immunsystems die Gefahr einer Lungenentzündung bestand.

Am 23.12.2005 feierten wir den 1.Geburtstag unserer Tochter Christina. So schön und gemütlich wie möglich versuchten wir die Weihnachtsfeiertage zu verbringen. Michael las viel und sah viel fern.

Während der gesamten Krankheitszeit erhielt Michael überwältigend viele Anrufe, Faxe, Briefe, Päckchen von vielen lieben Menschen, die alle mit uns hofften, dass Michael den Kampf gegen den Tumor schaffen würde. Immer wieder kamen Freunde, die z. T. den weiten Weg vom Ruhrgebiet auf sich nahmen, um ein Wochenende mit Michael zu verbringen.

Jahreswende 2005/06 Welcher Ausblick stand uns bevor? Michael meinte: „Sekt statt Selters“ – und wir genehmigten uns einen Piccolo.

Neujahr 2006: Michael war sehr erschöpft von dem Aufbleiben bis nach Mitternacht und wir nahmen zusammen die vielen Anrufe entgegen.

Die Hoffnung auf ein besseres Jahr 2006 sollte sich nicht erfüllen.

Da Michael seit der OP große Probleme mit der zeitlichen Orientierung hatte, sich z.B. keine Termine merken konnte, legte ich für ihn ein sog. Gedächtnisbuch an. In diesem Buch trug ich für jeden Tag seine Termine, eigentlich alles, was wichtig war, ein. Dieses Buch war ihm eine große Hilfe.

Ich hatte telefonisch Kontakt mit einer Praxis für Neuropsychologie in München aufgenommen. Es war klar, dass wir nicht dort hinfahren konnten. Aber ich bekam innerhalb kürzester Zeit Unterlagen zugeschickt mit wertvollen Tipps für den Alltag, unter anderem wurde dort eben das Gedächtnisbuch erwähnt.

07.01.2006: Martin zog sich bei einem Schlittenunfall eine Platzwunde am Kinn zu, die genäht werden musste. An diesem Tag waren unsere Freunde bei uns, so dass ich mit Martin sofort zur Versorgung der Wunde fahren konnte.

Vom 11.01.06 bis zum 15.01. hatte Michael seinen ersten Chemotherapiezyklus mit Temodal. Als Medikament gegen die Übelkeit wurde Zofran Zydis verordnet. Unter Übelkeit litt Michael durch das Temodal nicht. Aber er fühlte sich ab der Hälfte der Einnahmewoche sehr geschlaucht. Geplant waren insgesamt 6 dieser Zyklen, dann würde man weitersehen. Ein Zyklus bedeutet dabei 5 Tage Einnahme und 23 Tage einnahmefreie Zeit.

Inzwischen hatte ich mich in der Telefonsprechstunde für Gliompatienten an der Universität Tübingen bezüglich des Therapieschemas mit Temodal beraten lassen. Danach war Temodal zu der Zeit das vielversprechendste Medikament für die Chemotherapie bei Glioblastompatienten. Ließe sich das Tumorwachstum durch das Temodal kontrollieren, wäre eine Dauermedikation mit Temodal denkbar.

Durch diese Aussage, die ein längerfristiges Überleben mit einem Glioblastom denkbar werden ließ, setzten wir unsere ganze Hoffnung auf die Chemotherapie mit oben genanntem Medikament.

Am 17.01.2006 fuhr ich mit Michael zu seiner Reha-Maßnahme in der Klinik Enzensberg in Hopfen am See bei Füssen. Michael freute sich darauf und er erhoffte eine Besserung der Probleme, mit denen er seit der OP zu kämpfen hatte.

Die Einnahme von Fortecortin war inzwischen auf 1 mg täglich reduziert. Michael hatte mit der Einnahme eines Weihrauchpräparates begonnen. Weihrauch soll, genauso wie das Cortison die Ödembildung bzw. ein vorhandenes Ödem reduzieren.

Wir besorgten ein Präparat, das als Nahrungsergänzungsmittel aus den Niederlanden importiert wird.(Über die Wirksamkeit des Präparates kann ich nichts sagen. Vermutlich war unsere Dosierung viel zu niedrig. An anderer Stelle wird der direkt aus Indien importierte Weihrauch mit Bezugsquelle in der Schweiz empfohlen.)

Drei Wochen waren für Michaels Aufenthalt in Enzensberg geplant. Am 08.02.2006 sollte die erste MRT-Kontrolle nach Bestrahlung und der 1.Chemotherapiezyklus stattfinden.

Michael hatte während dieser 3 Wochen phantastisches Winterwetter. Er unternahm in seiner therapiefreien Zeit ausgedehnte Spaziergänge. Ich war positiv überrascht, dass er sich in der fremden Umgebung so gut zurechtfand. Nach der ersten Hälfte des Reha-Aufenthaltes nahm Michael seine Termine weitgehend alleine wahr. Er brauchte dafür keine Begleitperson mehr. Wir freuten uns beide über diese Fortschritte. Diese Freude war von kurzer Dauer. An zwei Wochenenden besuchten wir Michael dort für jeweils einen Tag und wir versuchten, einen Familienausflug daraus zu machen. Am 07.02.2006 fuhr ich morgens zeitig los, um Michael in Enzensberg abzuholen. Um 9.30 Uhr hatte ich ein Abschlussgespräch mit seiner Ärztin. Wir besprachen u.a. das EEG, das dort gemacht worden war. Die Ärztin meinte, im EEG wäre keine Anfallsneigung zu sehen. Diese Aussage beruhigte mich, da ich Angst hatte, Michael könnte einen epileptischen Anfall haben.

Michael wartete mit bereits gepackten Sachen. Auch Telefon- und Fernsehgebühren hatte er bereits bezahlt. Auf der Rückfahrt meinte Michael, er habe ein gutes Gefühl in Bezug auf den Kontrolltermin am nächsten Tag. Er glaube nicht, dass der Tumor schon wieder gewachsen wäre. Wir freuten uns alle über Michaels Rückkehr.

Am selben Abend erlitt Michael seinen ersten großen Krampfanfall. Während ich mich um Michael kümmerte, rief Timo den Notarzt. Christina bekam Hunger und begann zu weinen. Da sie noch nicht abgestillt war, gab ich ihr zu trinken. Mit der freien Hand hielt ich Michael, damit er nicht von der Couch herunterfallen konnte. In der Zeit, in der wir auf den Arzt warteten, begann bereits der 2.Anfall.

Warum versorgt man Hirntumorpatienten nicht prophylaktisch mit Medikamenten, die einen Epileptischen Anfall unterbrechen? Uns wäre einiges erspart geblieben, hätte man uns von Anfang an mit diesen Medikamenten versorgt. Die Auswirkungen eines Anfalls sind für den Patienten gravierend, da das Gehirn lange braucht, um sich davon zu erholen.

Michael wurde nach dem 2. Anfall mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Als ich am nächsten Morgen auf die Station kam, erschrak ich zuerst einmal. Michael lag in einem Bett auf dem Gang und hatte ein OP-Hemd an. Es stellte sich dann heraus, dass man sich nur nicht die Mühe gemacht hatte, die Tasche, die ich gepackt und dem Notarzt mitgegeben hatte, zu öffnen und ihm von seinen Sachen etwas anzuziehen. Michael war sehr müde und wusste nicht, was mit ihm passiert war. Er war ansprechbar und konnte mir, wenn auch langsam, antworten. Dafür war ich sehr dankbar.

Die antiepileptische Einstellung mit Tegretal wurde begonnen. Die Gabe von Fortecortin wurde diskret erhöht. Für den 09.02.2006 war die MRT-Kontrolle anberaumt. Auf meine telefonische Nachfrage bekam ich das ernüchternde Ergebnis mitgeteilt, dass ein Rezidiv nachgewachsen war. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Primärtumor, inoperabel.

Die Ärztin meinte noch, dass Michaels Krankheit, eben das Glioblastom einfach besch... sei. Soweit zur psychologischen Betreuung.

 

Am 10.02. wurde Michael wieder nach Hause entlassen. Über den Stand der Dinge hatte man zu ihm nichts gesagt.

Angeblich war Michael nun medikamentös ausreichend gegen Krampfanfälle eingestellt. Kein Wort darüber, dass der Wirkstoff Carbamacepin erst einen bestimmten Spiegel im Blut erreichen muss, um wirksam zu sein. Kein Wort darüber, dass eben dieser Spiegel regelmäßig durch Kontrolle der Blutwerte beobachtet werden müsste. Wir bekamen für den Notfall Diacepam als Rectiole.

Warum gab man uns nicht direkt das Tavor, das oral gegeben wird, einfach zu handhaben und wirksam ist? Es reicht doch, wenn man als Angehöriger mit zitternden Fingern so eine Tablette verabreichen muss.

So holte ich Michael nach Hause. Immerhin verließ er das Krankenhaus auf zwei Beinen. Allerdings wurde uns Stück für Stück der Boden unter den Füßen weggezogen. Michaels Zustand war nach dem Krampfanfall schlechter. Er hatte deutlich mehr mit Wortfindungsstörungen zu kämpfen. In den ersten Tagen nach dem Anfall konnte er nicht mehr lesen. Das Carbamacepin machte ihn sehr müde.

Michael war in Bezug auf die MRT-Kontrolle extrem beunruhigt. Er war ja über das Wachstum eines Rezidivtumors nicht aufgeklärt. Ich war sehr wütend, dass mir als seiner Ehefrau diese Aufgabe zufallen sollte. Ich vereinbarte einen Gesprächstermin im Klinikum.

Als ich Michael gegenüber die Befürchtung äußerte, der Befund wäre womöglich nicht in Ordnung, stürzte ihn bereits diese Aussage in erneute tiefste Verzweiflung. Es waren dunkle, schwierige Tage.

Mit den Kindern besprach ich die sich verschlechternde Lage im Moment nicht. Sie waren noch völlig verstört von den Krampfanfällen.

Während Michael zur Reha war, hatte ich unsere Tochter Christina in der örtlichen Kinderkrippe angemeldet. Seit Christina 5 Monate alt war, hatte ich Freitag nachmittags für zwei Stunden wieder zu arbeiten begonnen. Nach Michaels Operation kamen am Freitag Nachmittag Freunde von uns, um bei Michael und den Kindern zu bleiben. Aus mehreren Gründen hatte ich mich dazu entschlossen, anstelle des Nachmittags an zwei Vormittagen arbeiten zu gehen. Ich war davon ausgegangen, dass Michael für einige Stunden alleine bleiben könnte. Diesen Punkt hatte ich auch mit der Ärztin im Klinikum besprochen. Sie war der Ansicht, nach der Einstellung mit den antiepileptischen Medikamenten müsste das funktionieren.

Ganz plötzlich hatten sich die Voraussetzungen völlig geändert. Da ich am 13.02.2006 arbeiten sollte, verabredete ich mit einem Freund, dass er an diesem Vormittag bei Michael bleiben würde. Als ich mittags nach Hause kam, hatte Michael seinen nächsten Anfall erlitten.

Ich rief die Hausärztin an, die eine erneute Einweisung in die Klinik anordnete. Michael hatte direkt nach dem Anfall eine Hemiparese rechts und eine ausgeprägte Sprachstörung. Seine sprachlichen Äußerungen waren nicht zu verstehen. Inzwischen war der Krankenwagen eingetroffen. Michael wurde zum zweiten Mal mit der Bahre aus dem Haus getragen.

Erneut war ein Stück Boden unter unseren Füßen verloren gegangen. Wir befanden uns im freien Fall.

Unser Sohn Martin versteckte sich unter der Küchenbank, als er von Michaels erneutem Krampfanfall erfahren hatte.

Abends rief mich der Neurologe an, der Michael in der Notaufnahme aufgenommen hatte. Er teilte mir mit, dass eine Unterhaltung mit ihm nach wie vor nicht möglich sei. Man würde die Dosis der Krampfmedikamente erhöhen und Michael am nächsten Morgen wieder entlassen.

Am gleichen Abend nahm ich Kontakt mit der örtlichen Hospizgruppe auf. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mir jemand mit ins Boot holen.

Vorher hatte ich bei einem Pflegedienst angefragt, ob eine Unterstützung bei der Betreuung möglich sei. Ein Zivildienstleistender stand nicht zur Verfügung. Da Michael noch keine Pflegestufe hatte, kam die Betreuung durch einen Pflegedienst nicht in Frage.

Die Leiterin der Hospizgruppe sicherte mir zu, dass an zwei Vormittagen sich jemand um Michael kümmern würde.

Am 14.02.2006 fuhr ich mit Christina zum Klinikum, um Michael wieder abzuholen. Seine Motorik hatte sich überraschend gut erholt, seine Sprache nicht. Er konnte, wenn auch noch unsicher, wieder gehen. Bevor Michael dann entlassen wurde, hatte ich in seinem Beisein ein abschließendes Gespräch mit dem Neurologen der Station. Er meinte die Symptome nach einem Krampfanfall müssten sich binnen 24 Stunden wieder zurückbilden. Wenn nicht, wäre nicht der Krampfanfall die Ursache dafür. Seine Aussage, irgendwann kämen diese Patienten (ich nehme an, er meinte die Patienten mit Glioblastom) dann sowieso ins Krankenhaus, half mir auch nicht weiter.

Leider half mir auch niemand, den Weg zum Parkplatz mit meinem mehr schlecht als recht gehfähigen Mann, Buggy samt Kleinkind und großer Reisetasche zurückzulegen. Als wir dann am Auto waren, alles verstaut war, fiel mir Michaels Versichertenkarte ein. Da ich sie nirgends finden konnte, ließ ich äußerst ungern Michael und Christina allein im Auto zurück und rannte zum Stationszimmer zurück. Es stellte sich heraus, dass eine umsichtige Krankenschwester die Versichertenkarte in einer Seitentasche der Reisetasche gesteckt hatte.

Übrigens hatte ich von nun an immer eine Tasche für Notfälle fertig gepackt.

Telefonisch hatte ich mit dem behandelnden Neurologen die durch die Krampfanfälle veränderte Lage besprochen. Wir hatten vereinbart, ein Mal wöchentlich die Blutwerte auf einen ausreichend hohen Carbamacepinspiegel hin kontrollieren zu lassen. Bei der Entlassung aus der Klinik hatte man uns für den Fall eines erneuten Krampfanfalls mit Tavor versorgt. Tavor wird oral verabreicht.

Die Sprachstörungen besserten sich in einem Zeitraum von 3 Wochen. Die Stimmung war sehr gedrückt. Wir wussten im Moment nicht, worauf wir unsere Hoffnungen setzen sollten.

Am 16.02.2006 waren wir bei Michaels behandelndem Onkologen, um mit ihm die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Michael war von ärztlicher Seite noch immer nicht über das Rezidivwachstum aufgeklärt. Leider lagen dem Onkologen keine aktuellen Unterlagen, v.a. nicht die letzten MRT-Bilder vor. Die Bilder waren auch mir nicht ausgehändigt worden.

So fuhren wir unverrichteter Dinge nach Hause und es ging wertvolle Zeit verloren. Zeit, die wir gar nicht hatten. Und das nur deswegen, weil es keine Kooperation zwischen den Ärzten der einzelnen Fachrichtungen gab. Obwohl man uns zur weiteren Behandlung an den Onkologen verwiesen hatte. Der Onkologe wollte sich wieder bei uns melden, sobald ihm die MRT-Bilder vorliegen würden.

Am 17.02.2006 hatten wir einen Termin beim Neurologen zur Blutabnahme

Inzwischen hatte uns eine Frau vom Hospizdienst besucht, um Michael kennen zu lernen und sich mit unserer Situation vertraut zu machen. Ihre größte Sorge war natürlich ein erneut auftretender Krampfanfall. Wir vereinbarten, dass sie ab sofort montags und donnerstags für den Vormittag kommen würde. An diesen beiden Vormittagen ging ich arbeiten und kaufte danach oft rasch etwas ein. Einkäufe versuchte ich auch mit unseren zahlreichen Arztbesuchen zu verbinden. Anfangs kam Michael mit in den Supermarkt. Später wartete er im Auto, da ihn das Einkaufen zu sehr anstrengte. Ich rannte dann, wie von der Tarantel gestochen, durch das Geschäft, weil ich Michael nicht lange alleine lassen wollte. Wenn wir unterwegs waren, hatte ich jetzt immer eine Notfalltablette dabei.

Am 22.02.2006 hatten wir nun endlich den nächsten Termin beim Onkologen. Tatsächlich lagen ihm nun endlich die MRT – Bilder vor. Nachdem er das Wachstum eines Rezidivs bestätigt hatte, schlug er vor, die Behandlung mit Temodal abzubrechen und im Rahmen einer Studie mit der Einnahme von Glivec zu beginnen. Da ich für den 28.02.2006 einen Termin an der Uni-Klinik Tübingen vereinbart hatte, um uns eine Zweitmeinung einzuholen, wollten wir solange mit einer Entscheidung abwarten. Wir holten uns dann bei der Hausärztin den Überweisungsschein für diesen Termin und sie hatte netterweise die erforderlichen Unterlagen für uns zusammengestellt. Das wichtigste bei so einem Termin sind allerdings die Bilder.

Wir unternahmen dann noch einen ganz anderen Versuch, für Michaels Überleben zu kämpfen. Eine Frau aus der Hospizgruppe fuhr nach Indien zu einem Heiler. So fuhr ich mit Michael am Samstag zu dieser Frau, um ihr ein Foto von Michael für den Heiler mitzugeben. Er würde dann für Michael beten und würde versuchen, heilende Energie zu schicken.

Wie schon erwähnt, beteten wir beide für Michaels Leben. Ich hatte auch ein Versprechen gegeben.

Am 26.02. holten meine Eltern unsere Söhne für die Winterferien ab. Wir brachten sie noch zusammen zum Bahnhof und wir beschlossen, noch etwas im Wald spazieren zu gehen. Es hatte Neuschnee gegeben und ich bedachte nicht, dass darunter die Wege vereist waren. Nach wenigen Metern rutschte Michael aus, fiel nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf auf dem vereisten Boden auf. Er verlor für einige Sekunden das Bewusstsein, kam dann wieder zu sich. Ich hievte ihn mit vereinten Kräften wieder hoch und brachte ihn schleunigst zum Auto zurück. Welche Vorwürfe ich mir machte, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen.

Diesmal fuhr ich selbst dann mit Michael zur Notaufnahme ins Klinikum. Nach langer Wartezeit wurde dann ein CT gemacht. Immerhin lag keine Blutung vor. Die Möglichkeit einer Gehirnerschütterung bestand. Wir durften dann wieder nach Hause. Ich sollte nachts eben ein Auge auf ihn haben.

Am 28.02.2006 fuhren wir nach Tübingen, nachdem Michael sich leidlich von seinem Sturz erholt hatte. Wir schilderten die momentane Situation und fragten nach möglichen Therapieoptionen. Am Nachmittag war dort Tumorkonferenz und man wollte dann unser Anliegen besprechen. Wir ließen also die MRT-Aufnahmen in Tübingen und fuhren wieder zurück. Noch am selben Abend wurden wir zurückgerufen und uns das Ergebnis mitgeteilt. Michael wurde die Fortsetzung der Therapie mit Temodal empfohlen. Diese sollte nach einem „On and Off“-Schema erfolgen. Dies bedeutet: Eine Woche Einnahme, eine Woche Pause. Selbstverständlich wöchentliche Kontrolle der Blutwerte. Michaels Onkologe favorisierte zwar nach wie vor den Abbruch der Behandlung mit Temodal, erklärte sich aber bereit , dieses Einnahmeschema zu betreuen.

01.März 2006: Michaels 45.Geburtstag

Es kamen viele Anrufe, viele Glückwünsche...alles Gute für das neue Lebensjahr. Michael war in gedrückter Stimmung, zu bedroht war sein Leben. Er hat seine Ängste nie am Telefon oder Leuten, die ihn besuchten, mitgeteilt. Ich meine damit nicht, dass Michael sich aufgegeben hatte. Michael hat sehr lange gehofft. Aber es gab eben auch die Momente der absoluten Verzweiflung.

02.03.2006: Beginn der Temodal-Einnahme

04.03.2006: Rückkehr von Timo und Martin mit den Großeltern. Wir feiern zusammen Michaels Geburtstag.

08.03.2006: Blutabnahme bei der Hausärztin. Das erspart uns die Fahrt nach Augsburg. Die letzten beiden Tage der Temodal-Einnahme und auch noch die nächsten Tage fühlt Michael sich sehr geschlaucht. Trotzdem versuchen wir, unsere gemeinsamen Spaziergänge beizubehalten, wenn auch nicht mehr im Wald, was wir beide bedauerten. Wir hofften dann auf den Frühling, aber der ließ 2006 auf sich warten.

Am 12.03.2006 wurde Michael von meinem Bruder und meiner Schwägerin zum Geburtstagsessen eingeladen. Ihm ging es Gott sei Dank gut genug, dass er das Essen genießen konnte. Michael wünschte sich chinesisches Essen und so gingen wir in das gleiche Lokal, in dem wir am Wochenende vor seiner Operation gegessen hatten.

14.03.2006: Der Tumoralltag ist wieder eingekehrt. Wir haben einen Kontrolltermin beim Onkologen in Augsburg.

16.03.2006: Erneuter Beginn der Temodal-Einnahme. Laut Uni-Klinik Tübingen sollte nach insgesamt 8 Wochen MRT-Kontrolle erfolgen. Der Onkologe setzte den Termin nach sechs Wochen an. Also in der Woche vor Ostern.

Am 25.03.2006 fahren wir zu einem Osteopathen, der in der Nähe von Augsburg ein Seminar hält. Er hat selbst einen bösartigen Hirntumor überlebt, ich weiß nicht die genaue Tumorart. Allein diese Tatsache gibt uns Hoffnung. Der Osteopath empfahl u.a. eine bestimmte Behandlung zur Leberentgiftung, da v.a. durch das Carbamacepin die Leberwerte sehr schlecht waren. Er machte uns darauf aufmerksam, dass evtl. eine bestimmte Form der Lasertherapie eine Therapieoption wäre. Auf den Rat des Osteopathen hin entfernte ich zu Hause alle Stromquellen um unser Bett herum. Also keine Nachttischlampe mehr, u.s.w..

Telefonate und Recherchen im Internet ergaben die Laserinduzierte Thermotherapie und eine Thermotherapie mit magnetischen Nanopartikeln als Therapiemöglichkeit beim Glioblastom. Eine Freundin aus Duisburg übernahm dabei die Recherchen im Internet. Die Thermotherapie mit magnetischen Nanopartikeln kam dann auf meine Anfrage hin bei Michael nicht in Frage. Ich brauchte nicht einmal seine Bilder hinzuschicken. Diese Therapie wird am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin durchgeführt.

Die osteopathische Behandlung übernahm eine befreundete Physiotherapeutin. Die Behandlung bekam Michael gut und er freute sich darauf.

Bei einer der nächsten Kontrollen der Blutwerte waren dann auch tatsächlich die Leberwerte besser.

Am 08./09.04.2006 hatte Michael Besuch von einem Freund aus Duisburg. Zusammen mit Pit, der sich von Anfang an mit um Michael kümmerte, fuhren sie nach Augsburg und verbrachten dort den Nachmittag.

Inzwischen ließ sich der Gedanke nicht mehr verdrängen, dass die Besucher ihn zum letzten Mal sehen würden.

11.April 2006: MRT-Kontrolle
Aus einem kurzen Gespräch mit der Ärztin der radiologischen Praxis ging hervor, dass der Befund schlecht ist.

Am 12.04.2006 Termin beim Onkologen:
In den Wochen der Intensivtherapie mit Temodal war das Tumorwachstum explodiert. Der Tumorprogress war an drei Herden sichtbar. Der Onkologe sprach von einer akut bedrohlichen Situation. Michael unterschrieb die Einwilligung zur Aufnahme in die Glivec-Studie.

Am 13.04.2006 Fahrt zum Onkologen, um die neuen Medikamente abzuholen. In der Glivec-Studie wird die Wirksamkeit von Litalir und der Kombination von Litalir mit Glivec verglichen. Michael wurde leider im Rahmen der Studie für die Monotherapie mit Litalir eingeteilt. Noch am selben Tag begann Michael mit der Einnahme von Litalir.

So begann für uns Ostern 2006.

Selbstverständlich haben wir auch Ostereier gesucht. Was sollten wir auch sonst tun? Michael ging sogar alleine mit den 3 Kindern spazieren, damit der Osterhase auch kommen konnte. Der Spaziergang war anstrengend für ihn, aber es war sein eigener Wunsch gewesen. Die Kinder waren in den Osterferien zu Hause, weil Timo sich in der Vorbereitung auf seine Erstkommunion befand. Diese sollte am 23.04.2006, also am Sonntag nach Ostern stattfinden. Ganz nebenbei bereiteten wir dieses Ereignis vor, das im kleinsten Familienkreis stattfinden sollte.

Für den 28.April hatte ich einen Termin zur Tumorsprechstunde im Klinikum Großhadern vereinbart. Ich konnte und wollte nicht aufgeben. Noch nicht!

Ein Artikel in der Zeitschrift Brainstorm gab uns neue Hoffnung. Er war geschrieben von einer Patientin, die seit über 5 Jahren mit einem Glioblastom lebt.

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Ich werde diesen Bericht in der nächsten Zeit vervollständigen

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